Eritrea-Festival
Chaos in Gießen: Mindestens 26 Verletzte Polizisten bei Krawallen
- Aktualisiert: 09.07.2023
- 00:00 Uhr
- Benedikt Rammer
Das Wichtigste in Kürze
Zum Start des umstrittenen Eritrea-Festivals ist es in Gießen an diesem Samstag zu Ausschreitungen gekommen.
Die Behörden mussten mit einem Großaufgebot eingreifen.
Viele Einsatzkräfte wurden bei dem Einsatz verletzt.
Das Eritrea-Festival in Gießen ist an diesem Samstag von schweren Ausschreitungen überschattet worden. Mindestens 26 Polizisten wurden verletzt, mindestens 60 Menschen wurden in Gewahrsam genommen.
Gewalt, verletzte Polizisten und Sachbeschädigungen - zu Beginn des umstrittenen Eritrea-Festivals ist es am Samstag (8. Juli) in Gießen zu den von Polizei und Stadt befürchteten Ausschreitungen gekommen. "Die Kollegen wurden massiv angegriffen, Steinewürfe, Flaschenwürfe, Rauchbomben", sagte ein Polizeisprecher der Deutschen Presse-Agentur. 26 Einsatzkräfte seien unter anderem durch Steinwürfe verletzt worden. Er sprach von einer "sehr dynamischen Lage, die sich noch weiter entwickelt". Man rechne damit, dass weitere potenzielle Störer anreisen könnten. "Wir nehmen die Lage natürlich sehr, sehr ernst." Der Großeinsatz werde am Sonntag andauern. Die Polizei war nach eigenen Angaben mit mehr als 1000 Beamten vor Ort, Verstärkung wurde angefordert.
Seit dem frühen Morgen waren nach Polizeiangaben unterschiedlich starke Personengruppen in Gießen durch Ausschreitungen an verschiedenen Orten aufgefallen. Mindestens 60 Menschen wurden in Gewahrsam genommen, zuvor wurden etwa 50 Platzverweise erteilt. Ob auch Festivalbesucher verletzt wurden, war zunächst unklar.
Eritrea-Festival zunächst verboten
Die Polizei hatte sich seit Tagen auf eine Großlage in der mittelhessischen Stadt und die Anreise potenziell gewaltbereiter Gegner der Veranstaltung eingestellt. Das Festival gilt wegen seiner Nähe zur Regierung des ostafrikanischen Landes als umstritten. Bereits im August vergangenen Jahres war es bei der Vorgänger-Veranstaltung zu gewaltsamen Ausschreitungen mit verletzten Besuchern und Polizisten gekommen. Der Zentralrat der Eritreer in Deutschland als Veranstalter rechnete am Samstag und Sonntag mit jeweils etwa 2500 Besuchern.
Die Stadt Gießen hatte das Festival zunächst wegen Sicherheitsbedenken verboten. Dies wurde vom Gießener Verwaltungsgericht gekippt. Am Freitag bestätigte der Hessische Verwaltungsgerichtshof diese erstinstanzliche Entscheidung.
Nach Darstellung des Polizeisprechers handelt es sich bei dem Festival um "eine kulturelle Veranstaltung", die die eritreische Kultur und Traditionen feiere. "Es handelt sich um eine friedliche und familiäre Veranstaltung für Jedermann." Bereits im vergangenen Jahr waren jedoch Vorwürfe laut geworden, dort sollte Geld zur Unterstützung des Regimes gesammelt werden.
Der Sprecher sagte, es sei auch zum Einreißen von Absperrzäunen gekommen sowie zu Versuchen, polizeiliche Absperrungen zu durchbrechen. So habe eine Gruppe von vermutlich rund 100 bis 150 Personen einen Zaun an den Hessenhallen - dem Veranstaltungsort - eingerissen. Die Beamten setzten Pfefferspray und Schlagstöcke ein, ein Wasserwerfer stand bereit. Rund 80 Personen wurden am Mittag von Polizisten festgehalten, es sollte geprüft werden, ob sie in Gewahrsam genommen werden. Es bestehe der Verdacht auf Körperverletzungsdelikte, Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung.
Polizei mit Großaufgebot in Gießen vor Ort
Aufgrund der dynamischen Lage seien zusätzlich zu den mehr als 1000 Beamten, die bereits im Einsatz waren, weitere Polizisten nach Gießen gerufen worden, sagte der Polizeisprecher. Es gehe um mehrere Hundert weitere Polizisten "aus allen hessischen Polizeipräsidien, die zusätzlich nach Gießen kommen, um hier für die Sicherheit vor Ort zu sorgen". Mit Lautsprechertrupps werde versucht, auf Personen einzuwirken, die an Absperrungen aufträten und möglicherweise versuchen wollten, diese zu durchbrechen. Auch ein Polizeihubschrauber und eine Drohne waren im Einsatz.
Eritrea mit seinen rund drei Millionen Einwohnern liegt im Nordosten Afrikas am Roten Meer und ist international weitgehend abgeschottet. Seit einer in einem jahrzehntelangem Krieg erkämpften Unabhängigkeit von Äthiopien vor 30 Jahren regiert Präsident Isayas Afewerki in einer Ein-Parteien-Diktatur das Land. Parteien sind verboten, die Meinungs- und Pressefreiheit sind stark eingeschränkt. Es gibt weder ein Parlament noch unabhängige Gerichte oder zivilgesellschaftliche Organisationen. Zudem herrscht ein strenges Wehrdienst- und Zwangsarbeitssystem, vor dem viele Menschen ins Ausland fliehen.
Scheiben von Autos eingeschlagen
Am Mittag begann eine Kundgebung gegen das Festival in der Gießener Innenstadt, zunächst waren keine Zwischenfälle bekannt. Je nach Einsatzlage sperrte die Polizei an unterschiedlichen Stellen in der Stadt Straßen. Am Neustädter Tor gab es der Polizei zufolge eine Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von Beteiligten. Dort sei es auch zu Drohungen gegenüber Autofahrern gekommen. Von der Heuchelheimer Brücke seien auch Gegenstände geworfen worden und Autos seien beschädigt worden. Auch Mitarbeiter eines Geschäfts in der Nähe der Hessenhallen berichteten, dass Scheiben von vorbeifahrenden Autos eingeschlagen worden seien. Man habe auch Sorgen um die eigene Sicherheit gehabt, sagte eine der Beschäftigten.
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) forderte die Bundesregierung auf, den Botschafter des ostafrikanischen Landes einzubestellen. "Der eritreischen Regierung muss deutlich gemacht werden, dass eritreische Konflikte nicht auf deutschem Boden ausgetragen werden dürfen", sagte er. "Unsere Polizistinnen und Polizisten sind nicht der Prellbock für Konflikte von Drittstaaten." Der stellvertretende AfD-Bundessprecher Stephan Brandner kritisierte, dass das Eritrea-Festival in Deutschland stattfinden dürfe. "Die Diktatur möge sich selbst in Eritrea feiern. So etwas hat in unserem Land nichts verloren."
Faeser verurteilt Gewalt scharf
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) twitterte: "Die massive Gewalt und Randale gegen Polizeibeamte in Gießen verurteile ich scharf. Danke an alle Einsatzkräfte! Meine Gedanken sind bei den verletzten Beamten."
Die Stimmung war auch in den sozialen Netzwerken teils aufgeheizt. Die Polizei warnte vor Falschmeldungen. Mutmaßlich wegen der heißen Temperaturen hätten mehrere Personen gesundheitliche Probleme bekommen und seien medizinisch versorgt worden, hieß es in einem Tweet. Die Beamten nahmen dabei Bezug auf einen vorher verbreiteten Appell, keine Falschmeldungen zu verbreiten, wonach angeblich ein Teilnehmer der Störaktionen getötet worden sei. Es gebe bislang keine Hinweise darauf, schrieben die Beamten. Ein Polizeisprecher sagte, dass ein Teil der im Internet kursierenden Videos, die Ausschreitungen zeigten, mutmaßlich aus dem Vorjahr stammten.
- Verwendete Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa