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Opferzahl wird auf 500 geschätzt

 Griechenland: Migranten zahlten 6.000 Euro für Fahrt mit dem Unglücks-Kutter

  • Aktualisiert: 16.06.2023
  • 09:34 Uhr
  • Lena Glöckner

Hunderte Menschen sind bei dem Untergang eines Migrantenboots vor Griechenland ums Leben gekommen. Die Suche nach Toten läuft weiter, doch Hoffnung auf Überlebende gibt es nicht mehr.

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Das Wichtigste in Kürze

  • Nach dem Untergang eines voll besetzten Flüchtlingsboots vor der Küste Griechenlands sind 78 Leichen geborgen worden.

  • Insgesamt wird die Opferzahl auf 500 geschätzt.

  • Inzwischen wurden neun Überlebende festgenommen, die offenbar als Schleuser agiert haben.

Nach dem Untergang eines Flüchtlingsbootes südwestlich von Griechenland gibt es keine Hoffnung mehr, noch Überlebende retten zu können. Insgesamt könnten bei dem Unglück mehr als 500 Migrant:innen ums Leben gekommen sein, nur 104 überlebten, wie die Behörden am Donnerstag (15. Juni) mitteilten. Lediglich 78 Opfer konnte die Küstenwache bislang bergen. Trotzdem wurden die Rettungsarbeiten gemeinsam mit Marine und Luftwaffe fortgesetzt, wie das Staatsfernsehen zeigte.

In der Hafenstadt Kalamata spielten sich am Donnerstagmorgen tragische Szenen ab. Viele der 104 überlebenden Migrant:innen suchten dort nach ihren Angehörigen. Verzweifelt hielten sie den Hilfskräften Handyfotos der Betreffenden vor, meist ohne Erfolg.

Den Großteil der Opfer scheint der rostige, gut 30 Meter lange Fischkutter mit sich in die Tiefe gerissen zu haben. Insgesamt könnten sich zwischen 500 und 700 Menschen an Bord befunden haben, wie die Behörden unter Berufung auf die Befragung Überlebender und Schätzungen der Kapazität des Bootes bekannt gaben. Gewissheit wird es nicht geben: Der Unglücksort rund 50 Seemeilen südwestlich der griechischen Halbinsel Peloponnes liegt genau über dem Calypsotief, mit über 5.000 Metern der tiefsten Stelle des Mittelmeers.

Bis zu 6.000 Euro für eine Fahrt auf dem Fischkutter

Die Überlebenden sollen jetzt in ein Flüchtlingslager nahe Athen gebracht werden. Die meisten Passagiere stammen laut Küstenwache aus Syrien, Afghanistan und Pakistan. Im Laufe des Donnerstags hatte man die geborgenen Toten bereits nach Athen gebracht, wo versucht werden soll, sie unter anderem mithilfe von DNA-Proben zu identifizieren.

Derweil laufen die Untersuchungen der Unglücksursache weiter. Die griechische Küstenwache nahm neun Überlebende fest. Sie sollen als Schleuser agiert haben. Wie der staatliche Rundfunk (ERT) am Donnerstagabend berichtete, wird den aus Ägypten stammenden Männern unter anderem die Bildung einer kriminellen Organisation vorgeworfen. Sie sollen dem Staatsanwalt der Hafenstadt Kalamata vorgeführt werden. Dieser werde entscheiden, wie es weitergehe, hieß es.

Nach neuesten Erkenntnissen der Behörde sei der Fischkutter vor einigen Tagen aus Ägypten gestartet, habe dann einen Stopp im libyschen Tobruk gemacht und weitere Menschen aufgenommen. Danach nahmen die Schleuser Kurs auf Italien. Migranten sollen den Organisatoren des Unglücksboots nach eigenen Angaben pro Kopf zwischen 5.000 und 6.000 Euro gezahlt haben.

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Massenpanik an Bord

Medienberichten zufolge soll es an Bord zur Massenpanik gekommen sein, als die Maschinen des alten Kutters ausfielen. Das übervolle Schiff sei daraufhin aus dem Gleichgewicht gekommen, gekentert und sofort gesunken. Überlebende gaben an, dass viele Passagiere nicht schwimmen konnten und auch kaum einer eine Schwimmwesten trug. Auch hätten sich die Menschen unter Deck so schnell nicht ins Freie retten können. Unter ihnen seien viele Frauen und bis zu 100 Kinder gewesen, hieß es.

Die griechische Küstenwache und auch vorbeifahrende Frachter hätten der Besatzung des Boots per Funk wiederholt Hilfe angeboten, sagte ein Sprecher der Behörde. Die Besatzung hätte das Angebot jedoch ausgeschlagen, mit der Begründung, man wolle Italien erreichen. Weil sich das Boot in internationalen Gewässern befand, konnten die Beamten erst eingreifen, als der Kutter in der Nacht zum Mittwoch in Seenot geriet und kenterte.

Auch die EU-Grenzschutz-Agentur Frontex wusste um das gefährdete Boot. Seine Kollegen hätten das Boot am Dienstag entdeckt und den Behörden gemeldet, sagte Frontex-Chef Hans Leijtens der "Süddeutschen Zeitung" (Freitag). Er selbst sei direkt nach Griechenland geflogen, um zu klären, was genau passiert sei. Allerdings könne man keine Wunder vollbringen: "Wir überwachen ein Meer, das doppelt so groß ist wie Frankreich, Spanien und Italien zusammen. Es ist sehr schwer, jedem zu helfen, der in Not gerät", sagte er. Man dürfe gar nicht erst warten, bis die Schiffe kommen. "Wir müssen mehr dagegen tun, dass sie ablegen." Der Druck auf Europas Grenzen wachse, die Zahl der Flüchtlinge nehme gerade auf dem Mittelmeer zu und die Lage dort sei "dramatisch", sagte Leijtens.

Scholz zeigt sich bestürzt

Am Donnerstagabend zeigte sich Bundeskanzler Olaf Scholz bestürzt. "Das ist bedrückend und ruft uns alle mal mehr dazu auf, alles dafür zu tun, dass Menschen nicht diese gefährlichen Fluchtrouten wählen", sagte der SPD-Politiker. Er wünsche sich eine Lösung mithilfe eines gemeinsamen und solidarischen "Systems des Umgangs" mit der Migration in Europa.

Die EU-Staaten hatten sich vor einer Woche auf umfassende Reformpläne in der Asylpolitik verständigt. Asylanträge von Migranten, die aus Herkunftsländern mit einer Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent stammen, sollen bereits an den EU-Außengrenzen innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden. In dieser Zeit will man die Schutzsuchenden verpflichten, in streng kontrollierten Aufnahmeeinrichtungen zu bleiben. Wer keine Chance auf Asyl hat, soll umgehend zurückgeschickt werden. Denkbar ist allerdings, dass das EU-Parlament noch Änderungen durchsetzt. Es hat bei der Reform ein Mitspracherecht.

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Die EU-Innenminister haben sich auf eine Reform für das Asylsystem geeinigt. Für unseren Reporter Adrian Kriesch gehen die Anpassungen nicht weit genug. Es muss mehr passieren, damit Menschen nicht mehr vor den Küsten ertrinken.

  • 09.06.2023
  • 09:40 Uhr
  • Verwendete Quellen:
  • Nachrichtenagentur dpa
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