US-Wahlkampf
Trumps widersprüchlicher Wahlkampf: Wie Juden in den USA wählen wollen
- Aktualisiert: 28.10.2024
- 12:07 Uhr
- Christopher Schmitt
Traditionell wählen Jüdinnen und Juden in den USA mehrheitlich demokratisch. Doch sind jüdische US-Amerikaner:innen in Zeiten von Nahost-Krieg und steigendem Antisemitismus eher Trump oder Harris zugeneigt?
Das Wichtigste in Kürze
US-amerikanische Jüdinnen und Juden wählen traditionell mehrheitlich demokratisch.
Einer Umfrage zufolge liegt auch Kamala Harris in der jüdischen Community deutlich vor Donald Trump, der sich als Freund Israels inszeniert.
Im Swing State Pennsylvania könnte die Minderheit wichtige Stimmen beisteuern.
Zwei Wochen vor der US-Wahl kämpfen Kamala Harris und Donald Trump um jede Stimme – und nachdrücklich auch um die der jüdischen US-Amerikaner:innen. Historisch betrachtet hat der Großteil der jüdischen Community seine Stimme für demokratische Präsidentschaftskandidat:innen abgegeben. Nur die republikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower in den 50er- sowie Ronald Reagan in den 80er-Jahren schafften es, über 30 Prozent der jüdischen Stimmen auf sich zu vereinen.
Die Republikaner erhoffen sich auch vom steigenden Antisemitismus in Folge des Terrorangriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 eine Kehrtwende. "Wir sehen in der jüdischen Gemeinde seit Langem eine Bewegung hin zur Republikanischen Partei", behauptet etwa Sam Markstein von der Trump-nahen Lobbyorganisation "Republican Jewish Coalition" gegenüber dem "Spiegel".
Ungleiche Verteilung der Community
Doch haben vorgeblich progressive Proteste gegen Israels Vorgehen im Gaza-Streifen an Universitäten und die Forderungen von Teilen des linken demokratischen Parteiflügels, Verteidigungsausgaben für Israel zu kürzen, einen Effekt auf jüdische US-Wähler:innen?
Blickt man auf die Landeskarte, lebt die jüdische Community ungleichmäßig verteilt – und vornehmlich in Staaten, die ohnehin nicht zu den umkämpften Swing States zählen, die am 5. November darüber entscheiden werden, wer ins Weiße Haus einzieht: Hierzu zählen die demokratischen Hochburgen Kalifornien, New York, New Jersey oder Illinois, aber auch Florida, wo voraussichtlich für Trump gestimmt werden wird. Im Schlüsselstaat Pennsylvania sind die Stimmen der etwa 300.000 jüdischen Wahlberechtigten möglicherweise umso wertvoller – und könnten über den Swing State mitentscheiden, der vor vier Jahren mit nur rund 80.000 Stimmen an die Demokraten ging.
Trump betont Israel-Engagement
Trump selbst inszeniert sich jedenfalls gerne als Freund Israels und Kandidat der jüdischen Community. "Ich habe mehr für Israel getan als jeder andere Präsident", urteilte der Republikaner bereits. Er wirbt aggressiv um jüdische Stimmen, bezeichnet sich selbst als Zionist, ließ in seiner ersten Amtszeit zudem die US-Botschaft von Tel Aviv ins symbolträchtige Jerusalem verlegen. Seine Konkurrentin Harris hingegen "hasse" den jüdischen Staat, außerdem rufe Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lieber ihn statt den amtierenden US-Präsidenten Joe Biden an.
Harris positioniert sich im Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser:innen weniger eindeutig, äußert immer wieder Verständnis für die Situation der Araber:innen und fordert eine Waffenruhe im Gaza-Streifen. Weder jüdische Demokrat:innen noch die Parteilinken darf die Kandidatin vor den Kopf stoßen, aber sie stellte bereits im August klar: "Ich bin eindeutig und unerschütterlich in meinem Engagement für Israels Verteidigung und seine Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen",
Im Video: "Instabil und durchgeknallt" – Kamala Harris schießt gegen Donald Trump
Im Sommer behauptete Trump zudem, die Demokratin würde "jüdische Menschen" nicht mögen. Und das, obwohl Harris mit dem Juden Doug Emhoff verheiratet ist.
"Antisemitische Rhetorik" von Trump?
Donald Trump hat sich im September noch über die aus seiner Sicht ausbleibende Unterstützung der jüdisch-amerikanischen Community beschwert. Sollte er die Wahl am 5. November nicht für sich entscheiden, würden die jüdischen US-Wähler:innen "damit wirklich viel zu tun haben", erklärte der Präsidentschaftskandidat in einer Rede vor dem Israeli-American Council in Washington. Jede jüdische Person, die ihre Stimme für seine Rivalin Harris abgebe, "sollte sich einer Untersuchung unterziehen".
Im Netz sorgte die Aussage für deutliche Kritik, Trump wurde von jüdischstämmigen Beobachter:innen "antisemitische Rhetorik" vorgeworfen. "Abscheulich und gefährlich" seien Aussagen, wonach Jüdinnen und Juden den Ausgang der US-Wahl beeinflussen.
Außerdem sagte Trump in seiner Rede, dass Israel innerhalb von zwei Jahren nicht mehr existieren würde, sollte Harris ins Weiße Haus einziehen. Den Jüdinnen und Juden in den USA gibt er an diesem Szenario eine Teilschuld, schließlich würden sie zu Harris tendieren. Auf welche Umfrage sich Trump genau bezog, ließ er offen.
Vor kurzem warf ihm sein ehemaliger Stabschef John Kelly zudem verstörende Aussagen über Adolf Hitler vor. Wie er in einem am Dienstag (22. Oktober) veröffentlichten Interview mit der "New York Times" sagte, habe er mehrfach von Trump zu hören bekommen: "Wissen Sie, Hitler hat auch einige gute Dinge getan."
Umfrage: 71 Prozent favorisieren Harris
Die Zahlen, einer von der jüdischen Mitgliedsorganisation der Demokratischen Partei (JDCA) in Auftrag gegebenen Umfrage, sprechen klar für Harris: Laut der am 9. Oktober veröffentlichten Erhebung von GBAO – einem Unternehmen, dass sich auf liberale Wahlumfragen konzentriert – wollten 71 Prozent der Jüdinnen und Juden in sieben Swing States der Demokratin ihre Stimme geben. In Pennsylvania, Michigan, Wisconsin, Arizona, Georgia, North Carolina und Nevada sprechen sich insgesamt nur 26 Prozent der Befragten für Trump aus.
Die Ergebnisse decken sich auch mit den Ergebnissen einer landesweiten Umfrage vom September, die Harris sogar mit 72 Prozent zu 25 Prozent in Front sieht. "In den Staaten, die über den Ausgang dieser Wahl entscheiden werden, sind die jüdischen Amerikaner stark motiviert, ihre Stimme abzugeben - und die große Mehrheit plant, für Kamala Harris zu stimmen", so Halie Soifer, die Geschäftsführerin der JDCA, gegenüber der "Times of Israel".
Möglicherweise wird der Einfluss des Kriegs im Nahen Osten überschätzt. Die Thematik Israel hat bei den befragten Jüdinnen und Juden in den Swing States nicht oberste Priorität. 44 Prozent geben die Zukunft der Demokratie als wichtigstes Thema an, auf Platz zwei folgt Abtreibung mit 36 Prozent sowie Inflation und Wirtschaft mit 24 Prozent.
Bei orthodoxen Juden führt Trump
In Pennsylvania (52 zu 41 Prozent), das zum Zünglein an der Waage werden könnte, zeigt eine Umfrage der Orthodox Union ein engeres Rennen voraus. Ohnehin ist die Zustimmung oorthodoxer Jüdinnen und Juden für Donald Trump in den vergangenen zwölf Monaten von 73 auf 77 Prozent gestiegen, so eine Umfrage. Sogar 93 Prozent der ultraorthodoxen Jüdinnen und Juden, die etwa zwei Drittel dieser Gruppe ausmachen, sollen für Trump stimmen wollen.
Allerdings bildet die orthodoxe Gemeinde lediglich etwa zehn Prozent der jüdischen Gesamtbevölkerung in den USA ab. Bei reformierten, eher konservativen oder religiös ungebundenen Jüdinnen und Juden hat Kamala Harris weiterhin die Nase vorn.