Regierung am Ende
Ende der Ampel: Wie sich die unsichere politische Lage auf uns auswirkt
- Veröffentlicht: 09.11.2024
- 13:09 Uhr
- Christina Strobl
Nach dem Bruch der Ampel-Regierung fehlt dem Land vor allem eins: politische Orientierung. Was die ungewisse Situation mit den Menschen in Deutschland macht.
Das Wichtigste in Kürze
Deutschland hat aktuell eine Minderheitsregierung aus SPD und Grüne.
Weder die Mehrheit der Bevölkerung steht hinter der politischen Spitze, noch die Mehrheit des Bundestags bei etwaigen Beschlüssen.
Diese unsichere Lage wirkt sich nicht nur auf die Wirtschaft Deutschlands aus, sondern auch auf die Psyche der Bürger:innen.
Das vorzeitige Aus der Ampel-Regierung zeichnete sich schon seit Längerem ab. Für viele kam es deshalb nicht überraschend, dass die Koalition am vergangenen Mittwoch (6. November) mit der Entlassung Christian Lindners (FDP) als Bundesfinanzminister endgültig zerbrach. Doch wie wirkt sich die aktuell heikle Lage auf uns Bürger:innen aus?
Im Video: Nach Ampel-Aus - Zoff um den Termin für Neuwahlen
Minderheitsregierung aus SPD und Grüne
Das Ende der Ampel bedeutet, dass SPD und Grünen zu einer Minderheitsregierung reduziert wurden. Sprich: Die beiden Parteien haben keine Mehrheit im Bundestag und das auch nicht für etwaige Vorhaben, wie etwa die Verabschiedung des Bundeshaushalts für 2025. Dies betrifft Millionen Deutsche, etwa wenn es Haushaltssperren gibt und der Bundestag der Regierung verbietet, weitere Schulden aufzunehmen. Wie die Deutsche Presse-Agentur am Samstag (9. November) meldet, könnte das sogar noch 2024 eintreffen.
Sollten Scholz und Habeck den Etat nicht durchbringen, beginnt das neue Jahr mit einer vorläufigen Haushaltsführung. Das bedeutet, dass Pflichtleistungen wie das Bürgergeld weiter gezahlt werden. Alles, was aber noch nicht verpflichtend, nicht gesetzlich verankert oder schon begonnen ist, wird womöglich auf Eis gelegt.
Die Menschen verspüren vor allem Unsicherheit
Soweit die Fakten. Doch was macht das vorzeitige Ampel-Aus mit der Psyche der Bürger:innen? Die Menschen verspürten vor allem Unsicherheit, heißt es weiter in dem Bericht, und auf diese reagierten die Deutschen üblicherweise politisch oder wirtschaftlich. "Die Wirtschaft und die Bürger wollen eine gewisse Stabilität, sie wollen wissen, was auf sie zukommt", so der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer. "Wir haben große Ansprüche und Erwartungen an den Staat. Das spielt bei uns eine größere Rolle als in anderen Ländern wie den USA."
Im "ZDF" äußerte sich auch Vorländers Politikwissenschaftler-Kollege Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen. Ihm zufolge sind wir "Stabilitätsfanatiker". Dabei bezieht er sich darauf, dass das Grundgesetz eigentlich darauf ausgelegt ist, politische Hängepartien zu vermeiden, also Sicherheit verspricht. Wegen des großen Bedürfnisses nach Absicherung wäre auch das deutsche Sozialsystem derart ausgefeilt, so Korte. Phasen der Unsicherheit könnten auch dazu führen, dass Menschen Anschaffungen hinauszögern und ihr Geld zusammenhalten, was sich wiederum schlecht auf die Wirtschaft auswirken könnte.
Fratzscher: Unsicherheit erhöht "politische Lähmung"
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, erwartet, dass die aktuelle politische Lage in Deutschland, "die Unsicherheit und die politische Lähmung in den kommenden Monaten erhöhen" wird. Unternehmen wären davon gar noch mehr betroffen als Privatleute. "Dies dürfte weiteren wirtschaftlichen Schaden anrichten und die deutsche Wirtschaft zu einem Zeitpunkt schwächen, an dem sie bereits sehr schwach und angeschlagen ist." Fratzschers Meinung nach sollte der Staat in Krisenzeiten oder in einer Rezession mit zusätzlichen Investitionen die Konjunktur anheizen, entsprechend der sogenannten "expansiven Fiskalpolitik". Weil jedoch vorerst kein Haushalt zustande kommen wird, könnte dies äußerst schwer werden für Scholz und Co.
Vorländer zufolge ist auch das Bedürfnis nach Planbarkeit aktuell wichtig für die Menschen: Setzt man weiter auf Klimaschutz oder bleibt man doch noch länger bei der Kohle? Bleiben die strengen E-Auto-Vorgaben bestehen oder dürfen auch noch länger Diesel-Pkws gefahren werden? "Die Ampel hatte eine große Transformation begonnen, nur passten die unterschiedlichen konzeptionellen Ansätze eben nicht zusammen", so der Politologe. "Aber die Politik hatte eine Richtung vorgegeben, und das ist es, was jetzt fehlt. Für Branchen wie die Automobilindustrie kann das existenziell sein."
Im Video: Ausnahme für Ampel-Minister - warum sie trotz Koalitionsende Pensionen erhalten
Vorländer: Menschen brauchen eine "Richtungsanzeige"
Für die meisten Menschen war der Bruch der Regierung zwar keine Überraschung. Mit den Auswirkungen, die nun auf uns alle zukommen, rechnete vorerst dennoch kaum jemand. Grundsätzlich ist das überschattende Gefühl der Bürger:innen neben der Frustration auch der Zweifel: Wird die politische Lage Deutschlands mit Neuwahlen stabilisiert oder dauert diese Hängepartie noch Monate lang an?
Vorländer ist sich sicher, dass es umso besser ist, je kürzer diese orientierungslose Zeit anhält. "Wir haben viele Krisen, die gleichzeitig uns belasten und verunsichern", so der Politologe. "Da brauchen wir eigentlich eine Richtungsanzeige. Andernfalls herrscht Angst, dass die Richtung bald wieder geändert wird."
- Verwendete Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa