Abstimmung im Bundestag
Faeser fordert Schutz des Bundesverfassungsgerichts - das sind die Gründe
- Aktualisiert: 19.12.2024
- 09:39 Uhr
- Claudia Scheele
Heute wird im Bundestag über eine wichtige Grundgesetzesänderung zum Schutz des Bundesverfassungsschutzes abgestimmt. Innenministerin Faeser betont die Bedeutung der Pläne.
Das Wichtigste in Kürze
Am heutigen Donnerstag (19. Dezember) stimmt der Bundestag über eine Grundgesetzänderung zum Schutz des Bundesverfassungsschutzes ab.
Nancy Faeser (SPD) betont die Wichtigkeit dieser Änderung.
Ein Überblick über die Hintergründe der Änderung.
Kurz vor der Bundestagsabstimmung über eine Grundgesetzänderung zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts hat Innenministerin Nancy Faeser (SPD) die Bedeutung des Vorhabens hervorgehoben. "Unser Rechtsstaat darf nicht von innen heraus sabotiert werden können", sagte Faeser am Donnerstag (19. Dezember) den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Wenn autoritäre Kräfte die Demokratie angriffen, sei die Justiz oft ihr erstes Ziel. "Das haben wir in europäischen Nachbarstaaten gesehen. Deshalb muss unsere Demokratie wehrhaft sein", so die SPD-Politikerin. Es dürfe den Feinden der Demokratie niemals leicht gemacht werden, wichtige Institutionen anzugreifen oder lahmzulegen. "Genau davor müssen wir das Bundesverfassungsgericht mit den vorgeschlagenen Änderungen absichern."
Das Bundesverfassungsgericht wacht über die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Grundrechte. Damit das Karlsruher Gericht diese Aufgabe auch in Zukunft so erfüllen kann wie in den vergangenen Jahrzehnten, bedarf es einer Reform, meinen Rechtspolitiker:innen mehrerer Fraktionen. Über ein entsprechendes Vorhaben stimmt der Bundestag heute ab.
Szenarien wie in Polen und Ungarn vermeiden
Die AfD ist bei diesem Vorhaben der sprichwörtliche Elefant im Raum. Die Bundespartei wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet. Dass die AfD bei den Landtagswahlen im Osten und in Meinungsumfragen zuletzt zulegen konnte, hat bei Politiker:innen anderer Parteien die Sorge vor einem Szenario wachsen lassen, wie es in Ungarn und Polen unter den inzwischen teils abgewählten Regierungen zu beobachten war.
Der Blick in Länder wie Polen und Ungarn habe gezeigt, dass auch die stärksten Verfassungsgerichte verwundbar seien, sagt der amtierende Bundesjustizminister Volker Wissing. "Schnell werden sie zur Zielscheibe der Politik, wenn kritische Richter unliebsame Urteile sprechen." Deshalb sei ein besserer Schutz für Deutschlands oberste Verfassungshüter dringend geboten.
Ein Blick auf die Nachbarländer
Die nationalkonservative PiS-Regierung, die Polen von 2015 bis 2023 führte, hatte das polnische Justizsystem umgebaut und damit nach Einschätzung von Expert:innen die Gewaltenteilung eingeschränkt. Unter anderem wurde die Möglichkeit geschaffen, Richter:innen zu kontrollieren und zu sanktionieren. Die neue Mitte-Links-Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk bemüht sich, die von der Europäischen Union beanstandeten Maßnahmen wieder rückgängig zu machen.
In Ungarn steht Ministerpräsident Viktor Orban unter dem Verdacht, die Unabhängigkeit der Justiz einzuschränken. "Wir verhindern, dass, wie in Osteuropa geschehen, durch Schaffung neuer Senate oder die Herabsetzung der Altersgrenze neue Verfassungsrichterstellen geschaffen werden, die mit Günstlingen besetzt werden können", hatte Johannes Fechner von der SPD bei der ersten Beratung zu der geplanten Änderung im Bundestag erklärt.
Amtszeit, Ausschluss einer Wiederwahl und Altersgrenze - um diese Änderungen geht es
Die zwölfjährige Amtszeit der Richter:innen, der Ausschluss einer Wiederwahl sowie die Altersgrenze der Richter:innen von 68 Jahren sollen im Grundgesetz verankert werden. Diese und andere Vorgaben zu Status, Struktur und Arbeitsweise des Gerichts regelt bislang das Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Das aber kann mit einfacher Mehrheit geändert werden, anders als das Grundgesetz.
Im Grundgesetz verankert werden soll auch die Festlegung auf 16 Richter:innen und zwei Senate. Damit die Arbeitsfähigkeit des Gerichts in keinem Fall gefährdet ist, soll im Grundgesetz künftig außerdem stehen, dass ein:e Richter:in die Amtsgeschäfte bis zur Wahl eines oder einer Nachfolger:in weiterführt.
Das Gleiche gilt für die Geschäftsordnungsautonomie, also den Grundsatz, dass das Bundesverfassungsgericht seine inneren Angelegenheiten selbst regeln darf. Das bedeutet unter anderem, dass die Richter:innen selbst entscheiden können, in welcher Reihenfolge sie Akten bearbeiten. So will man verhindern, dass Politiker:innen bestimmte Entscheidungen des Gerichts hinauszögern können.
Im Video: Verfassungsschutz will bis Jahresende neues Gutachten zur AfD vorlegen
Was ist mit der Wahl der 16 Richter:innen?
Die Hälfte von ihnen wird im Bundestag, die andere Hälfte im Bundesrat gewählt. Das soll grundsätzlich auch so bleiben. Notwendig ist jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Diese Regelung hat bislang garantiert, dass die Parteien meist Juristen vorgeschlagen haben, die als eher gemäßigt gelten.
Um bei möglicherweise veränderten Mehrheitsverhältnissen in der Zukunft zu verhindern, dass es zu einer Sperrminorität kommt, die eine Richterwahl blockiert, haben sich SPD, Union, Grüne und FDP auf einen Ersatzwahlmechanismus geeinigt. Der sieht so aus: Falls keine Zwei-Drittel-Mehrheit zustande kommt, kann das Wahlrecht vom Bundestag auf den Bundesrat übergehen und umgekehrt.
Bei den Überlegungen zu diesem Punkt haben die Initiatoren der Reform nicht nur an die AfD gedacht, sondern auch an das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).
Über diese zwei Gesetzesentwürfe wird abgestimmt
In das Grundgesetz soll zu dem neuen Ersatzwahlmechanismus eine Öffnungsklausel eingefügt werden. Auf Basis dieser Öffnungsklausel soll im Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine entsprechende Änderung eingefügt werden.
Nur der Teil des Vorhabens, der das Grundgesetz betrifft, ist im Bundesrat zustimmungspflichtig. Auch in der Länderkammer ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Es ist damit zu rechnen, dass diese zustande kommt.
Darum soll die Änderung jetzt durchgeführt werden
Über die Frage der Dringlichkeit der Gesetzesänderung gibt es geteilte Auffassungen. Der Deutsche Richterbund hat nach der Landtagswahl in Thüringen im September erklärt: "Mit Blick auf die jüngsten Wahlergebnisse ist es dringender denn je, die Unabhängigkeit der Justiz in Bund und Ländern besser gegen gezielte politische Eingriffe durch illiberale, extremistische Kräfte zu sichern. Mit der Sperrminorität der AfD in Thüringen ist ein erster Dominostein bereits gekippt."
Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings (CDU), betont zwar, er sehe aktuell keinen Grund für "Alarmismus". Dennoch spricht aus seiner Sicht viel dafür, "dass man das nun auch zügig umsetzt". Er sagt, alles, was die Struktur und die Arbeitsweise des Bundesverfassungsgerichts betreffe, sei bisher "sehr rudimentär geregelt, im Vergleich zu anderen Verfassungsorganen".
- Verwendete Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa